Titel
Grundriss der Religionsgeschichte. Von der Prähistorie bis zur Gegenwart


Autor(en)
Antes, Peter
Erschienen
Stuttgart 2006: Kohlhammer Verlag
Anzahl Seiten
157 S.
Preis
€ 22,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Frank Neubert, Religionswissenschaftliches Seminar, Universität Luzern

Wer nach Einführungen oder Überblicksdarstellungen zur Religionsgeschichte sucht, wird zumeist bei Büchern fündig, die sich mit „den“ fünf, sechs oder sieben „Weltreligionen“ befassen und diese mehr oder weniger getrennt voneinander abhandeln. Für seinen „Grundriss der Religionsgeschichte“ hat der ausgewiesene Hannoveraner Religionswissenschaftler Peter Antes eine andere Herangehensweise an und ein anderes Verständnis von Religionsgeschichte gewählt. Die Gliederung seines Buches richtet sich nach einer Mischung aus chronologischen und typologischen Kriterien: Beginnt Antes mit „Ersten Spuren von Religion in der Vorgeschichte“ (S. 15-17) und setzt mit „Frühen Kulturen“ (S. 19-44) fort, so folgen danach Kapitel über „Traditionelle Stammes- und Naturreligionen“ (S. 45-49) und „Hochreligionen“ (S. 51-122). Die weiteren Kapitel befassen sich mit „Neueren religiösen Bewegungen“ (S. 123-130), „Diffuser Religion“ (S. 131-133), „Religion und Moderne“ (S. 135-137) sowie einem kurzen „Fazit und Ausblick“ (S. 139-142). Während die ersten Kapitel in sich größtenteils geographisch geordnet sind, behandelt das Kapitel „Hochreligionen“ all die Konglomerate, die in ähnlichen Texten traditionell als „Weltreligionen“ bezeichnet werden, ergänzt vor allem um Jainismus, Shintoismus und Manichäismus. Die typologischen Begriffe werden nicht explizit eingeführt; die kurzen einleitenden Absätze zu jedem Kapitel weisen zwar auf Probleme hin, aber sie setzen voraus, dass der Leser aufgrund der Auswahl der darin behandelten Gegenstände schon erkennen wird, was damit gemeint ist. Einzige Ausnahme ist der Begriff der neueren Religionsgemeinschaften. Diese Kategorie wird explizit auf zwei Seiten behandelt (S. 128-129). Dafür werden die darunter gefassten historischen Gegebenheiten ohne jegliche nähere Beschreibung nur aufgezählt. Durch die Nebeneinanderstellung von typologischen und historischen Gliederungskriterien wird zudem (wohl unbeabsichtigt) der Eindruck erweckt, als seien die behandelten Typen in einer chronologischen Abfolge verortbar, als seien also beispielsweise die „Stammesreligionen“ historisch älter als die „Hochreligionen“, und diese wiederum chronologisch Vorläufer neuerer religiöser Bewegungen und diffuser Religion.

Antes möchte seinem Anspruch nach in einem Text all das zusammenfassen, was man sich sonst an religionsgeschichtlichen Daten mühevoll aus zahllosen Lexikon- und Handbuchartikeln zusammensuchen müsste (S. 12). Das ist ein großes Vorhaben, zumal, wenn man es auf ca. 125 Seiten Text umsetzen möchte. Der Anspruch, dem Antes sich dabei selbst verpflichtet fühlt, ist ein schwerwiegender: Er möchte „all denen eine Erstorientierung [...] geben, die das Thema Religion und speziell die Religionen interessieren“ (S. 13) und dabei „die wichtigsten Spuren religiösen Denkens und die maßgeblichen Entwicklungsstränge“ vorstellen (S. 12). Inhaltliche Auswahlkriterien dafür, was am wichtigsten und was maßgeblich ist, bleiben im Dunkeln. Stattdessen wird der Leser auf das Handbuch „Religionen und Kulturen der Erde“ sowie auf das „Handbuch Religionswissenschaft“ verwiesen, an denen sich Antes bei seiner Auswahl „dankbar orientiert“ (S. 12). Gerade Entwicklungsstränge sucht der Leser aber größtenteils vergeblich: Es gibt nur sehr wenige Querverweise zwischen den einzelnen Kapiteln, die es erlauben würden, etwa historische Verbindungen oder gar Entwicklungen beispielsweise zwischen der Vorgeschichte und den frühen Hochkulturen zu erkennen.

Stattdessen gibt Antes in den jeweiligen Abschnitten eine Aufzählung vieler religionsgeschichtlicher Details, deren Aneinanderreihung und Darstellung aus religionswissenschaftlich-systematischer Perspektive – die doch auch Forschungen zur Religionsgeschichte leiten sollte – Fragen aufwirft. Es sei hier zur Verdeutlichung in etwas größerer Ausführlichkeit das Beispiel „traditioneller Stammes- und Naturreligionen“ in Afrika (S. 49) zitiert und kurz kommentiert:

„Allen [verschiedenen unter den afrikanischen Stämmen und Völkern verbreiteten Religionen; F.N.] gemeinsam ist die Überzeugung, dass hinter allen sichtbaren Dingen und Ereignissen unsichtbare Kräfte und Kraftfelder am Werk sind. In Tieren und Menschen wirkt die Kraft unsichtbarer Seelen. Diese leben nach dem Tod weiter und ziehen – oft auf beschwerlichem Weg – ins Reich der Ahnen. [...] Die Götter sind eine besondere Art von Geistwesen. Sie beschützen die Sippen, ihre Häuser und die Tiere. Sie sind größer und stärker als die Menschen, unterliegen aber wie diese einer hierarchischen Ordnung. Das Leben in der Gemeinschaft ist durch Riten und Tabus strukturiert, die sowohl die wichtigen Etappen im Leben des Menschen (Geburt, Volljährigkeit, Hochzeit, Tod) als auch den Alltag und den Jahresablauf strukturieren.“

Damit sind teilweise Allgemeinplätze aufgezählt, die keinerlei Spezifika „afrikanischer Stammesreligionen“ erkennen lassen. Gerade der letzte Satz könnte wohl mit gleichem Recht und mit der gleichen Unbestreitbarkeit in die Beschreibung einer jeden Religion einfließen, und er wäre dort ebenso frei von einer konkreten Aussage über diese Religion. Ebenso unspezifische Aussagen finden sich in zahlreichen anderen Kapiteln und Abschnitten wieder. Erfreuliche Ausnahmen bilden die bei weitem umfangreichsten Abschnitte über Christentum und Islam (zusammen ca. 30 S.), welche die eigentlichen Schwerpunkte der Forschungen von Peter Antes sind. Sie bieten einen guten und knappen Überblick über den Stoff und zeichnen auch längerfristige Entwicklungen in der Geschichte dieser Religionen nach.

Sonst aber sind im engeren Sinne historische Aussagen in den übrigen Kapiteln mit einigen wenigen Ausnahmen Mangelware. Stattdessen geht es in sehr traditioneller Weise wie im Zitat um Fragen danach, was die Menschen glauben und (oft unspezifischer) wie sie in religiöser Hinsicht handeln. Den genannten, zu allgemeinen Aussagen stehen oft Bemerkungen wie die gegenüber, dass „in Tieren und Menschen die Kraft unsichtbarer Seelen“ wirke oder dass „das Lebensgefühl der Japaner“ von der Einsicht geprägt sei, „wie unberechenbar die Natur ist“ (im Abschnitt über Japan, S. 21-22). Weder gibt es Angaben dazu, wie solche Aussagen zustande kommen noch findet eine für den Leser solcher Aussagen doch wichtige Reflektion damit verbundener methodischer Probleme statt. (Der Verzicht auf die Wiedergabe von Gedichten von Wilhelm Busch S. 64 und Dietrich Bonhoeffer S. 106 hätte dafür möglicherweise ein wenig Platz schaffen können.)

Dies aber sollte doch nach Ansicht des Rezensenten Aufgabe eines Überblicks über die Religionsgeschichte auf dem neuesten Forschungsstand sein: zu zeigen, welche Relevanz neuere theoretische und methodische Ansätze der Religionswissenschaft für unsere Kenntnis der Religionsgeschichte im Allgemeinen und der einzelnen Religionen im Besonderen haben. Mit dem einfachen Abtun eines von mehreren möglichen neueren Ansätzen durch die Aussage, das in Lexika und Handbüchern zusammengetragene Wissen dürfe nicht „zur reinen ‚Archäologie des Wissens’ (Michel Foucault [...])“ (S. 12) werden, ist es da keinesfalls getan. Eine kurze theoretisch-methodische Einleitung hätte vielleicht die verstreut in einzelnen Kapiteln auftauchenden Überlegungen (z. B. zum Begriff der neuen Religionen S. 128-130) vorab präsentieren und den Leser so von Anfang an mit den Begriffen, Methoden und Problemen religionsgeschichtlicher Arbeit vertraut machen können. Allgemeine Aussagen wie die oben zitierte hätten in einem solchen Kapitel einen besseren Platz gefunden als in der historischen Detaildarstellung, wo sie zum jeweiligen Thema nichts Konkretes beitragen.

Für eine solche Überblicksdarstellung muss es gelten, in praktikabler Weise die Frage danach zu beantworten, wie man die neuen theoretischen Ansätze in einer Weise mit religionsgeschichtlichen Darstellungen verbinden kann, dass sie für das Zielpublikum eines solchen Werkes fruchtbar sind. Leider sind Ergebnisse von Überlegungen dazu in dieses Buch nur ganz am Rande eingeflossen, wodurch es eher als ein Sammelsurium von religionsgeschichtlichen Daten und allgemeinen Aussagen über einzelne religiöse Traditionen erscheint und seinen selbst gesetzten Anspruch zumindest in dieser Hinsicht verfehlt.

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